Byzantinistik – Wikipedia

Serbische Briefmarke, herausgegeben anlässlich des 23. Byzantinistik-Weltkongresses 2016 in Belgrad

Die Byzantinistik ist ein interdisziplinärer Wissenschaftszweig, der sich mit Geschichte, Kultur, Religion, Kunst, Literatur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik des Byzantinischen Reichs beschäftigt. Als Begründer der Byzantinistik gilt der deutsche Philologe Hieronymus Wolf, ein Humanist der Renaissancezeit, der rund 100 Jahre nach der endgültigen Eroberung von Byzanz durch die Osmanen damit begann, Schriften byzantinischer Philosophen zu sammeln, zu übersetzen und zu veröffentlichen. Der erste Neogräzist und Sprachwissenschaftler, der auch als Byzantinist anzusehen ist, war Karl Krumbacher.

Die Abgrenzung der Byzantinistik als Wissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Definition
Byzantinistik (Byzantinologie) ist diejenige Wissenschaft, die sich mit der Geschichte und Kultur von Byzanz beschäftigt (Byzanz ↔ Byzantinisches Reich, griechisches Mittelalter; Byzanz = Konstantinopel [als Hauptstadt des Byzantinischen Reiches]). Dabei stehen der Einheitlichkeit des Untersuchungsobjekts „Byzanz“ vielfältige Betrachtungsweisen (= Einzeldisziplinen, Spezialfächer) gegenüber. – „Byzantinische“ Forschungen gab es dabei schon im hochmittelalterlichen byzantinischen Reich. Im späten Mittelalter war das Interesse an Byzanz durch den italienischen Humanismus gegeben (originale griechische Quellen) und verbreitete sich – besonders im 17. Jahrhundert – über ganz Europa und Russland. Das späte 19. und das 20. Jahrhundert brachten dann die Formierung der Byzantinistik als eigenständige Wissenschaft.
Byzanz
Griechisch-hellenistische Kultur, römische Staatstradition, orientalische Einflüsse und christlicher Glaube bei einer relativen Einheitlichkeit von Sprache und Kultur machen Byzanz im Mittelalter aus. Als Ausgangspunkt byzantinischer Geschichte gilt dabei meist die Regierungszeit Konstantins des Großen (306–337) und die Gründung Konstantinopels (330). Spätestens mit der faktischen Teilung des Römischen Reiches in ein West- und ein Ostreich (sog. Reichsteilung von 395) beginnt die oströmische bzw. spätantike Phase von Byzanz (frühbyzantinische Zeit bis etwa 641), die nicht nur von Byzantinisten, sondern auch von Althistorikern bearbeitet wird. Kaiser Justinian (I.) (527–565) eroberte Italien, Afrika und Südspanien zurück, doch blieb nach dem gewaltsamen Eindringen des Islam (634/98) ein durch die Themenverfassung reorganisiertes Byzanz nur noch auf die griechisch sprechenden Gebiete Griechenland, Kleinasien und Süditalien beschränkt; Latein wurde unter Herakleios als Amtssprache aufgegeben, ebenso die alte römische Kaisertitulatur.
Damit kam das Ende der Antike, und die mittelbyzantinische Zeit begann. Sie war auch die Epoche des Ikonoklasmus (717–843) und die Zeit der Entstehung des westlichen Kaisertums (800). Unter der Makedonischen Dynastie (10./11. Jahrhundert) gewann Byzanz wieder an Macht gegen Islam und Bulgaren, doch bedeutete der Tod Kaiser Basileios II. (976–1025) einen Wendepunkt, die Niederlage von Mantzikert (1071) den Zusammenbruch byzantinischer Macht in Asien (Seldschuken) und Süditalien (Normannen). Eine gewisse Stabilisierung konnte – bei gleichzeitiger westlicher Kreuzzugsbewegung (1096–1099, 1147–1149, 1189–1192) – unter dem Komnenen erreicht werden – zumindest bis zur Schlacht bei Myriokephalon (1176). Innere Auseinandersetzungen begünstigten in der Folge die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (4. Kreuzzug, 1204) und die Errichtung lateinischer Staaten in Griechenland.
Mit den Palaiologen und der Rückeroberung Konstantinopels (1261) beginnt die Spätphase des byzantinischen Reiches als Kleinstaat, der besonders bedroht wurde durch das Vordringen der Osmanen (ab 1300) und den wirtschaftlichen Einfluss Venedigs und Genuas (spätbyzantinische Zeit). Ein unter anderem durch Bürgerkriege geschwächtes Reich musste schließlich vor den Türken kapitulieren (Eroberung Konstantinopels 1453, Mistras 1461). Erwähnt werden sollte noch das im Zuge des 4. Kreuzzugs entstandene komnenische Kaiserreich Trapezunt (1204–1461).
Sprache
Die Sprachstufe der Byzantinischen Zeit ist die mittelgriechische Sprache. Drei Sprachschichten des Mittelgriechischen sind feststellbar: Attizismus (attische Literatursprache), Koine (hellenistische Gemeinsprache), Dimotiki (neugriechische Volkssprache), wobei zwischen dem gesprochenen Griechisch und der schriftlichen, klassischen Tradition unterschieden werden muss.
Aus der reichhaltigen byzantinischen Überlieferung ist zunächst die Geschichtsschreibung mit den Gattungen „zeitgeschichtliche Monographie“ (historia, v. a. in der Spätantike verbreitet, siehe Prokopios von Caesarea, Agathias u. a.) und „Chronik“ zu nennen (Johannes Malalas [6. Jahrhundert]; Georgios Synkellos, Nikephoros, Theophanes [8./9. Jahrhundert]; Georgios Monachos [9. Jahrhundert]; Konstantin VII. Porphyrogennetos, Leon Diakonos [10. Jahrhundert]; Michael Psellos [10./11. Jahrhundert]; Johannes Skylitzes, Johannes Zonaras [12. Jahrhundert]; Michael Glykas Sikidites, Niketas Choniates [12./13. Jahrhundert]; Georgios Akropolites [13. Jahrhundert]; Georgios Pachymeres [13./14. Jahrhundert]; Johannes VI. Kantakuzenos [14. Jahrhundert]; Georgios Sphrantzes [15. Jahrhundert]).
Hagiographische Schriften sind die Lebensbeschreibung (bios) und die Lobrede (egkomion); hagiographische Sammlungen sind die menaia und sinaxaria. Zu den sogenannten Gelegenheitswerken gehören Briefe, Reden, Gedichte (Rhetorik, Panegyrik), auch im kirchlichen Bereich. Aus dem Bereich der byzantinischen Verwaltung im weitesten Sinne kennen wir auch Völker- und Städteverzeichnisse sowie Werke über Hofzeremonien und Ranglisten. Fachwissenschaftliche Werke sind unter anderem die strategischen Schriften. Weltliche und kirchliche Rechtstexte sind ebenfalls noch zu nennen, daneben im kirchlichen Bereich Patriarchatskataloge der Bistümer, im weltlichen und kirchlichen Urkunden und Akten (s. u. Diplomatik). Die volkssprachliche Literatur ist in dem Versepos Digenis Akritas aus dem 12. Jahrhundert erstmals schriftlich belegt.

Hilfswissenschaften der Byzantinistik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

a) Überlieferungsträger. Schriftliches ist hauptsächlich und neben Inschriften, Münzen und Medaillen auf Papyrus, Pergament oder Papier festgehalten worden. Dabei treten die Papyrusrollen der Antike (Papyrologie) neben den mittelalterlichen Pergamentcodices (Kodikologie) bald zurück, während das Papier im 9. Jahrhundert (← Araber ← China) aufkam.
b) Diplomatik (= Lehre von den byzantinischen Urkunden). Die Urkunden können nach dem Ausstellerprinzip in weltliche (Kaiser-, Despoten-, Privaturkunden) und geistliche (Patriarchen-, Bischofsurkunden) unterteilt werden, nach der Überlieferung in Originale (bei Kaiserurkunden erst ab 11. Jahrhundert), Nachahmungen und einfache Kopien. Bei den Kaiserurkunden unterscheiden wir Urkunden gesetzgebenden Inhalts (Typen: edikton, typos, pragmatikos typos, thespisma, neara, nomos, sakra; mandatum principis), Urkunden über konkrete Rechtsfälle (Typ Epistula: epistule, sakra; Typ Subscriptio: lysis [Verwaltung, Steuern], semeiosis), außenpolitische Urkunden (Verträge, Briefe an fremde Herrscher) (Typen: sakrai, grammata, basilikon, prokuratorikon chrysobullon), Privilegien (Chrysobullos logos, chrysobullos horismos, chrysobullon sigillion) und Verwaltungsurkunden (Typen: prostagmata [horismoi], sigillia, codicilli). Kirchliche Urkunden sind Urkunden und offizielle Briefe des Patriarchen, unter anderem gramma, homologia (Glaubensbekenntnisse), diatheke (Testamente), aphorismos (Exkommunikation), paraitesis (Abdankung) sowie die feierlich gehaltene praxis (synodike) und die hypotyposis (Synodalbeschluss) und der tomos (Glaubenssätze).
c) Eng mit der Diplomatik verbunden sind Sphragistik (= Siegelkunde) mit Gold- [Chrysobull], Bleibullen, Wachs-, Papiersiegel und Paläographie (= Lehre von Schriftarten) (s. o. Sprache und Schrift).
d) Epigraphik (= Lehre von den Inschriften), wobei Inschriften in Stein, Erz, Elfenbein, in Mosaiken, Email und auf Gemälden vorkommen.
e) Numismatik (= Lehre von den Münzen und dem [byzantinischen] Münzwesen). Aufbauend auf die spätantike Goldwährung des Solidus basierte das Münzwesen im byzantinischen Reich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts auf einer Goldwährung mit Silber-, Bronze- und Kupfermünzen. Bis zum Anfang des 8. Jahrhunderts bestimmten der Solidus, der Semis und der Triens das byzantinische Münzwesen, ab dem 8. Jahrhundert gab es nur noch den Solidus als Goldmünze, ab dem 10. Jahrhundert zusätzlich das Tetarteron; daneben konnten sich – aufgrund eines Gold-Silber-Verhältnisses von 1:14 bzw. 1:8 – Miliarense, Siliqua und Hexagramm (zum Teil nur marginal) als Silbermünzen behaupten. Kaiser Alexios I. (1081–1118) konnte durch Einführung der neuen Goldmünze des Hyperpyron die Währung wieder stabilisieren. Im spätbyzantinischen Reich kam das Basilikon als Silbermünze auf. Dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Verfall entsprach es, dass es schließlich in den letzten hundert Jahren byzantinischer Geschichte keine Goldwährung mehr gab, wohl aber ein auf vier Typen von Silbermünzen basierendes Geldwesen mit dem Silber-Hyperpyron als Hauptmünze.
f) Metrologie (= Lehre von den Maßen und Gewichten). Benutzt wurden eine Vielzahl von Längenmaßen, wie daktylosm kondylos, anticheir, palaiste, dichas, spithame, pechys (kleine Elle), bema (Schritt), orgia (Klafter), schoinion (Maß zur Feldmessung), plethron, milion, allage, Tagesweg. Hohlmaße waren unter anderem: litra, tagarion, pinakion, modios, Flächenmaße unter anderem modios, megalos modios und zeugarion. Maße für Wasser und Wein hießen megarikon, metron und tetartion. Gewichtsmaße waren krithokokkon, sitokokkon, gramma, obolos, drachme, ungia, litra, kentenarion, gomarion und pesa.
g) Chronologie (= Lehre von der Zeitrechnung). Es gilt bei den in Byzanz verwendeten Ären die Umrechnung: Jahr 1 n. Chr. = Jahr 754 ab urbe condita = 195. Olympiade 1. Jahr = Jahr 49 der cäsarianischen Ära von Antiochia = Jahr 5493 der alexandrinischen Ära = Jahr 312 der Seleukidenära = Jahr 5509 der byzantinischen Weltära. Das byzantinische Jahr begann dabei mit dem 1. September, dem angenommenen Tag der Weltschöpfung, so dass bei der Umrechnung in die Jahreszählung darauf zu achten ist, dass bei Tagen zwischen dem 1. Januar und 31. August nur 5508, bei Tagen zwischen dem 1. September und 31. Dezember dagegen 5509 Jahre abzuziehen sind. Ergänzend war auch die Datierung nach Indiktionen üblich.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gesellschaften, Institute, Forschungszentren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gelehrtengesellschaften

Universitätsinstitute in Griechenland

Forschungszentren in Griechenland

Universitätsinstitute in Deutschland

Die Byzantinistik ist in der deutschen Hochschulpolitik als Kleines Fach eingestuft.[1]

Deutsche Forschungszentren

Universitätsinstitute und Forschungszentren in Österreich

Universitätsinstitute in der Schweiz

Universitätsinstitute in Großbritannien

Forschungszentren in den USA

Forschungszentren in Italien

Forschungszentren in Frankreich

Forschungszentren in der Türkei

Universitätsinstitute in Polen

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Überblicksdarstellungen

Fachzeitschriften[3]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Byzantinistik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Seite der Arbeitsstelle Kleine Fächer zur Byzantinistik (Memento des Originals vom 16. Mai 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kleinefaecher.de, abgerufen am 17. April 2019. (Die Seite gibt einen Überblick über alle Universitätsstandorte mit dem Fach und über die Entwicklung der Zahl der Lehrkräfte)
  2. About us. Abgerufen am 16. Januar 2019 (britisches Englisch).
  3. Siehe auch Michael Grünbart, Mihailo Popovic: Liste der Zeitschriften und Reihen der Fachbereichsbibliothek Byzantinistik und Neogräzistik, Universität Wien (Memento vom 26. November 2009 im Internet Archive); Beate von Törn, Anke Ziemer: Verzeichnis der byzantinischen und neogräzistischen Zeitschriften in Institutsbibliotheken in Deutschland (Memento des Originals vom 19. Oktober 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.byzantinistik.de; Georgije Ostrogorski: Geschichte des Byzantinischen Staates, S. 11 ff.