Entkriminalisierung – Wikipedia

Entkriminalisierung ist ein in der rechtspolitischen Diskussion und der Strafrechtsreform gebrauchter Begriff.

Entkriminalisierung setzt logischerweise voraus, dass eine Verhaltensweise kriminalisiert ist. Der Vorgang der Kriminalisierung stellt das Gegenstück zur Entkriminalisierung dar.[1] Die Forderung nach Entkriminalisierung geht dahin, bestimmte Verhaltensweisen nicht mehr mit strafrechtlichen Strafen (und der damit verbundenen besonderen Missbilligung durch die Rechtsgemeinschaft) zu belegen, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Ein Beispiel für Entkriminalisierung in der Bundesrepublik Deutschland ist die Herausnahme der Übertretungen aus dem Strafgesetzbuch 1974 und die zuvor erfolgte Schaffung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten 1968; einige Straftatbestände wurden zu solchen, manche Straftatbestände wurden komplett gestrichen.

Weitere Beispiele:

  • Grober Unfug: Ersetzung des § 360 Abs. 1 Nr. 11 StGB a.F. durch § 118 OWiG zum 1. Januar 1975 (gleichzeitig Umbenennung des Delikts in „Belästigung der Allgemeinheit“).
  • Prostitution: Änderung der §§ 180a I, 181a II StGB zum 1. Januar 2002 schafft die Möglichkeit, sichere, hygienische und komfortable Arbeitsbedingungen sowie den Abschluss von Arbeitsverträgen straffrei anzubieten.[2] Ein Anliegen der Strafrechtsreformer war, dass die Prostitution nur noch insoweit strafrechtlich verfolgt werden soll, als sie mit Zwang oder anderweitiger Ausnutzung der Prostituierten, in jugendgefährdender Weise (zum Beispiel in der Nähe von Kindergärten, Schulen und ähnlichen Einrichtungen) oder in Sperrbezirken erfolgt.

Diskutiert wird die Entkriminalisierung auch im Bereich der Drogenpolitik sowie im Kontext der Migrationspolitik. Im Zusammenhang mit illegalen Drogen geht es überwiegend um die Frage, ob das Strafrecht das geeignete Mittel ist, um die Gefahren des Drogenkonsums zu bekämpfen und den Jugendschutz zu gewährleisten (siehe Legalisierung von Drogen). Im Zusammenhang mit dem irregulären Aufenthalt von Ausländern in Deutschland geht es darum, ob dieser weiterhin als Straftat bewertet werden soll.

Im Gespräch sind auch Vorschläge, weniger schwerwiegende Straftaten wie Ladendiebstähle, leichte Sachbeschädigungen oder Schwarzfahrten zu entkriminalisieren.[3][4] Bei diesen Vorschlägen geht es nicht darum, den Unrechts-Charakter der Taten zu bestreiten, sondern die „kostbare Ressource Recht“ effizienter zu nutzen, indem Polizei und Justiz entlastet werden.

Am 14. Oktober 2015 legte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus vor.[5]

Die Berliner Grünen forderten im August 2022 die Entkriminalisierung des Besitzes kleinerer Mengen harter Partydrogen wie Kokain, Ecstasy und Amphetaminen. Außerdem forderten sie, dass bei Cannabisfunden bis 15 Gramm gar nicht erst von der Polizei ermittelt und das Cannabis nicht beschlagnahmt wird.[6]

Im April 2023 wurden Pläne des Justizministeriums bekannt, die Verkehrsunfallflucht nur noch als Ordnungswidrigkeit und nicht mehr als Straftat einzustufen, solange nur ein Sachschaden, aber kein Personenschaden vorliegt.[7]

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte an, 2023 die Herabstufung der Beförderungserschleichung von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit zu prüfen.[8]

Andere Staaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Parallel zur Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 in den Vereinigten Staaten von Amerika stimmten die Einwohner in einem Referendum des US-Bundesstaates Oregon für eine Entkriminalisierung von harten Drogen (Cannabis ist in Oregon ohnehin bereits legal). Seit dem 1. Februar 2021 wird bei Konsumenten eine geringe Menge nur noch wie eine Ordnungswidrigkeit gehandhabt.[9][10] Die Folgen werden eher negativ beurteilt. So stieg die Zahl der an Überdosen verstorbenen Einwohner im Jahr 2021 deutlich stärker an als im Rest der USA, der jedoch ebenfalls einen Anstieg verzeichnete.[11] Aktuell (Frühjahr 2024) gibt es Bestrebungen, den Besitz harter Drogen in Oregon wieder zu kriminalisieren.[12]

In der kanadischen Provinz British Columbia begann am 31. Januar 2023 ein Experiment zur Entkriminalisierung harter Drogen. Der Besitz von bis zu 2,5 Gramm Opioiden, Kokain, Methamphetamin und MDMA wird dort nicht mehr bestraft. Das Experiment ist auf 3 Jahre befristet.[13]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rainer Prätorius: Entkriminalisierung und alternative Sanktionen. In: Lange HJ. (Herausgeber) Kriminalpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008
  2. Untersuchung Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes: Abschlussbericht (Memento des Originals vom 9. Februar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bmfsfj.de, Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut, Freiburg.
  3. Jannis Brühl: Schwarzfahren und Ladendiebstahl: Hat die Polizei nichts Besseres zu tun?. www.sueddeutsche.de. 17. April 2015
  4. Justiz: Freischuß für Ladendiebe. Der Spiegel. Ausgabe 4/1986. 20. Januar 1986, S. 56–60 (online)
  5. Entwurf eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Bundestags-Drucksache 18/6346. 14. Oktober 2015
  6. Berliner Grüne wollen harte Partydrogen entkriminalisieren. RBB24, 12. August 2022, abgerufen am 15. August 2022.
  7. Buschmann will offenbar Unfallflucht ohne Verletzte entkriminalisieren. Der Tagesspiegel, 25. April 2023, abgerufen am 25. April 2023.
  8. Justizminister Buschmann: Schwarzfahren bald nur noch Ordnungswidrigkeit? WDR, 17. Juli 2022, abgerufen am 18. Juli 2022.
  9. US-Wahl: Kokain, Heroin, Crystal - erster Staat schafft Strafen für harte Drogen ab! | MOPO.de. In: MOPO.de. Hamburger Morgenpost, 4. November 2020, abgerufen am 15. Dezember 2020.
  10. US-Bundesstaat Oregon entkriminalisiert kleine Drogenmengen. In: nzz.ch. Neue Zürcher Zeitung, 4. November 2020, abgerufen am 15. Dezember 2020.
  11. Thomas Hogan: Oregon’s Disastrous Drug Experiment. City Journal, 21. Juli 2022, abgerufen am 15. August 2022 (englisch).
  12. Josh Campbell, Shania Shelton, Kaanita Iyer: Oregon governor to sign bill re-criminalizing possession of certain drugs into law. CNN Politics, 8. März 2024, abgerufen am 1. April 2024 (englisch).
  13. Decriminalizing people who use drugs in B.C. Government of British Columbia, 31. Januar 2023, abgerufen am 31. Januar 2023.