Erhard Stenzel – Wikipedia

Erhard Stenzel (* 5. Februar 1925 in Freiberg, Sachsen; † 18. November 2021[1]) war ein deutscher Wehrmachtsdeserteur und der letzte lebende deutsche Résistancekämpfer.[2][3]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stenzel hatte als Achtjähriger mit angesehen, wie sein Vater, ein Metallarbeiter und Kommunist, am 2. Mai 1933 aus der Wohnung abgeholt und blutend auf einen Lastkraftwagen geworfen wurde; er kam wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten in Schutzhaft. 1944 wurde der Vater im KZ Buchenwald ermordet. Stenzels Mutter war Textilarbeiterin.[4][5]

Nach dem Abschluss der Volksschule lernte Erhard Stenzel den Beruf Schriftsetzer. Im letzten Lehrjahr verhaftete ihn die Gestapo und warf ihm Sabotage vor. Trotz dreimonatiger Folter konnte ihm nichts nachgewiesen werden, und er wurde freigelassen. Im Herbst 1942 musste Stenzel mit 17 Jahren seinen Wehrdienst antreten. Nach einem ersten Einsatz in Norwegen wurde er im Dezember 1943 zu den Besatzungstruppen nach Nord-Frankreich abkommandiert. Das Lager befand sich bei Oradour-sur-Glane, wo gerade drei Tage vor seiner Ankunft, am 10. Juni 1944, das Massaker von Oradour stattgefunden hatte. Er sah die Toten, die teilweise noch qualmten und wurde in seinem Wunsch bestärkt, so schnell wie möglich der Wehrmacht zu entkommen. Nachdem er Kontakt zu einem deutschsprachigen französischen Kommunisten gefunden hatte, desertierte Stenzel, indem er während eines Patrouillenganges die beiden anderen Soldaten entwaffnete[5] unter Mitnahme der Waffen.[6] Am 3. Januar 1944 wurde er offiziell in die Résistance und in die Kommunistische Partei Frankreichs aufgenommen[7] und kämpfte nun gegen die Nationalsozialisten.

Stenzel gehörte zu den Befreiern von Paris, Rouen und Le Havre. In Abwesenheit verurteilten ihn die Nationalsozialisten wegen unerlaubter Entfernung aus der Wehrmacht zum Tod.[8] 2002 wurde das Urteil durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehoben.[5]

Nach der Heimkehr nach Sachsen wurde Stenzel stellvertretender Direktor des Verlags der Sächsischen Zeitung. Seine Tätigkeit für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) führte ihn danach nach Ost-Berlin, wo er Stellvertreter des Generaldirektors der Zentrag wurde. Weitere Lebensstationen waren Teltow und Petzow.

1978 zog Stenzel aus familiären Gründen nach Falkensee. Nach der friedlichen Revolution in der DDR gehörte er dort der Stadtverordnetenversammlung an und wurde zum stellvertretenden Stadtpräsidenten gewählt.[9] Erhard Stenzel setzte sich für die Bewahrung des Außenlagers Falkensee des KZ Sachsenhausen als authentische Gedenkstätte ein.[10] Zudem ging er oft in Schulen, um den jungen Menschen von seinen Erlebnissen in der Zeit des Nationalsozialismus zu berichten.[5]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Held der französischen Republik[4]
  • Medaille des Landtages Brandenburg zur Anerkennung von Verdiensten für das Gemeinwesen[11]
  • Ehrenvorsitz der Linkspartei im Kreis Havelland
  • Sonderpreis des Bürgerpreises der Stadt Falkensee[12]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ich war neunzehn. Warum Erhard Stenzel aus der Wehrmacht desertierte und wie er Paris mit befreite. In: Karlen Vesper: Die Puppennäherin von Ravensbrück: Zwölf Porträts. Verlag Neues Leben, Berlin 2015, ISBN 978-3-355-01832-6, S. 77–102.

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Filmemacherin Heide Gauert drehte einen Dokumentarfilm über Erhard Stenzel: „Sie nannten ihn Benjamin – Erhard Stenzel“[13][14]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bürgerpreisträger und Widerstandskämpfer Erhard Stenzel ist tot. In: Märkische Allgemeine, 20. November 2021. Abgerufen am 21. November 2021.
  2. Salut Camarade. In: Neues Deutschland.
  3. Karlen Vesper: Einer der Letzten. Erhard Stenzel gestorben. In: nd - der Tag vom 24. November 2021, S. 8
  4. a b Zeitzeugengespräch mit Erhard Stenzel.
  5. a b c d Silvia Passow: Der letzte Kämpfer. In: Berliner Zeitung. 11. März 2019, S. 16.
  6. Patrick Rachner: Vollbewaffnet in den Widerstand. (Memento vom 12. Juni 2020 im Internet Archive) auf www.moz.de, 5. Februar 2012.
  7. Fabian Lambeck: »Für die kämpfst du nicht« (neues deutschland). Abgerufen am 1. Mai 2021.
  8. Erhard Stenzel desertierte aus der Wehrmacht und wurde dafür zum Tode verurteilt.
  9. RotFuchs. 12/2017, S. 23.
  10. Verleihung der Ehrenmedaille des Landtags an Erhard Stenzel.
  11. Für Toleranz und politisches Wachsein. (Memento des Originals vom 12. Juni 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.maz-online.de auf www.maz-online.de
  12. Traueranzeige, nd vom 27./28. November 2021, S. 27
  13. Ein zeithistorischer Film für die Nachwelt@1@2Vorlage:Toter Link/www.moz.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Dezember 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  14. Premiere im Falkenseer ALA: Erhard Stenzel auf falkenseeaktuell.de, 29. Oktober 2017.