Iryna Wenediktowa – Wikipedia

Iryna Wenediktowa (2020)

Iryna Walentyniwna Wenediktowa (ukrainisch Ірина Валентинівна Венедіктова; * 21. September 1978 in Charkiw, Ukrainische SSR) ist eine ukrainische Juristin, Politikerin und Diplomatin. Sie war vom 17. März 2020 bis zum 19. Juli 2022 als erste Frau in diesem Amt Generalstaatsanwältin der Ukraine. Sie ist Botschafterin der Ukraine in der Schweiz.

Lebenslauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Iryna Wenediktowa wurde am 21. September 1978 in Charkiw (Ukrainische SSR) in eine Anwaltsfamilie geboren. Ihr Vater war Generalmajor der Polizei, die Mutter Kandidatin der Rechtswissenschaften. Im Jahr 2000 schloss Wenediktowa ihr Studium an der Nationalen Universität für Innere Angelegenheiten Charkiw[1], Fakultät für Management und Informatik, mit Schwerpunkt Recht und Management ab. Von 2000 bis 2004 war Wenediktowa an der Rechtsabteilung des Humanitären Instituts Charkiw der Ukrainischen Volksakademie tätig. Im Jahr 2003 verteidigte sie ihre Dissertation zum Thema „Treuhandverwaltungsvertrag als eine Form der Umsetzung des Rechtsinstituts der Treuhandverwaltung in der Ukraine“ und erlangte den akademischen Grad einer Kandidatin der Rechtswissenschaften.[2] Im Jahr 2004 war sie Dozentin der Abteilung für Rechtspflege an der Nationalen V.N. Karazin-Universität Charkiw. Von 2005 an leitete sie dort bis 2019 die Abteilung für Zivilrecht. Im Jahr 2013 verteidigte sie an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew ihre Doktorarbeit (Habilitationsschrift) zum Thema „Schutz von zivilrechtlich geschützten Interessen“. 2014 erlangte sie den Titel einer Professorin der Abteilung für Zivilrecht an der Nationalen V.N. Karazin-Universität Charkiw.

Bis 2019 war sie Mitglied des Redaktionskollegiums wissenschaftlicher Fachschriften und Spezialisierter Akademischer Senate: Stellvertretende Leiterin des Redaktionskollegiums der Fachzeitschrift „Informationsblatt der Nationalen V.N. Karazin-Universität Charkiw“. Reihe „Recht“, „Medizinrecht“, „Privatrecht“. Sie war Vorsitzende der Spezialisierten Akademischen Senate der Nationalen V.N. Karazin-Universität Charkiw. Sie bildete Doktoren der Philosophie aus; eine Habilitationsschrift und zehn Dissertationen von Kandidaten in Rechtswissenschaften wurden unter ihrer Leitung verteidigt.

  • 2010 – 2019: Mitglied der Stiftung für Medizinrecht und Bioethik der Ukraine
  • 2012 – 2015: Führende Forscherin am Forschungsinstitut für Rechtsunterstützung der innovativen Entwicklung der Nationalen Akademie der Rechtswissenschaften der Ukraine
  • 2016 – 2019: Schiedsrichterin des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Industrie- und Handelskammer der Ukraine
  • 2016 – 2019: Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats am Obersten Gericht der Ukraine

Sie ist Autorin von mehr als 100 wissenschaftlichen und wissenschaftlich-methodischen Werken, die in in- und ausländischen Druckschriften veröffentlicht wurden, darunter 8 Monografien, 80 wissenschaftliche und 4 wissenschaftlich-methodische Publikationen.

Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.[1]

Politische Aktivität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenediktowa wurde 2018 Rechtsberaterin von Wolodymyr Selenskyj. Sie war Mitglied seiner Wahlkampfzentrale während des Wahlkampfs zum Präsidentenamt und eine Expertin für Reformen im Gerichtssystem.

Im Juli 2019 wurde sie auf Listenplatz 3 der Partei Sluha narodu zur Abgeordneten der Werchowna Rada gewählt. Am 29. August 2019 übernahm sie den Vorsitz des parlamentarischen Ausschusses für Rechtspolitik.

Leiterin des staatlichen Ermittlungsbüros[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenediktowa im Parlament (am 4. März 2020)

Am 27. Dezember 2019 wurde Iryna Wenediktowa zur kommissarischen Direktorin des Staatlichen Ermittlungsbüros ernannt. Sie war damit die erste Frau in der Geschichte der Ukraine, die eine staatliche Strafverfolgungsbehörde leitet.

Trotz der eher kurzen Dauer ihrer Tätigkeit in dieser Position, also bis zum 17. März 2020, ist es Iryna Wenediktowa gelungen, eine neue Organisationsstruktur des Staatlichen Ermittlungsbüros aufzubauen.

Für die Strafverfahren im „Fall Majdan“ wurde eine separate Ermittlungseinheit geschaffen.

Unter ihrer Aufsicht wurde ein System des monatlichen Berichts des Staatlichen Ermittlungsbüros an die Öffentlichkeit und ausländische Partner über die Ergebnisse der Arbeit der Strafverfolgungsbehörde eingeführt.

Wegen der unsachgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben wurden vier Leiter der Gebietsverwaltungen des Staatlichen Ermittlungsbüros vom Amt ausgeschlossen.

An mehr als 350 Personen wurden Verdachtsmitteilungen zugestellt; mehr als 170 Strafverfahren wurden dem Gericht übergeben.

Vom 13. März 2020 bis zu ihrer Absetzung war Wenediktowa Mitglied des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine.

Generalstaatsanwältin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenediktowa und Präsident Selenskyj

Am 17. März 2020 wurde Iryna Wenediktowa zur Generalstaatsanwältin ernannt. Ihre Kandidatur wurde von 269 Abgeordneten des ukrainischen Parlaments unterstützt.

Wenediktowa begann ihre Arbeit als Generalstaatsanwältin mit gemeinsamen Koordinierungssitzungen mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden, in denen die Probleme der Untersuchung von Korruptionsdelikten sowie die Entschädigung für die Schäden an den Staat erörtert wurden. Wenediktowa übernahm die persönliche Kontrolle über Strafverfahren, die im Fokus der Öffentlichkeit standen, einschließlich der Angelegenheiten von Journalisten und Aktivisten.

Während der ersten 100 Tage ihrer Amtszeit hielt Wenediktowa im Büro des Generalstaatsanwalts 24 Treffen mit Vertretern der zuständigen Behörden ausländischer Staaten und internationaler Organisationen ab, bei denen vor allem die Fortsetzung der Reformierung der Staatsanwaltschaft erörtert wurde.

Am 4. Juni 2020, erstmals seit 10 Jahren, hielt das Büro des Generalstaatsanwalts unter dem Vorsitz von Iryna Wenediktowa ein Koordinierungstreffen mit den Leitern der Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung von Folter durch Strafverfolgungsbeamte sowie unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung ab. Nach vielen Jahren der Unterbrechung wurden die Koordinierungstreffen damit wieder aufgenommen.

Am 12. Februar 2021 stellten die Staatsanwälte im Auftrag Wenediktowas erstmals eine Verdachtsmitteilung an einen Abgeordneten des ukrainischen Parlaments wegen „Knopfdrückens“ zu. Gemeint ist damit eine Abstimmung in der Plenarsitzung anstelle eines anderen Parlamentariers (gemäß Art. 364-2 des Strafgesetzbuches der Ukraine).

Am 22. Februar 2021 genehmigte Wenediktowa die Verdachtsmitteilung gegen drei ehemalige hochrangige Beamte der privaten Aktiengesellschaft „Kommerzbank PrivatBank“: den ehemaligen ersten stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden, die ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bank und Leiterin der Abteilung Finanzmanagement, gleichzeitig erste stellvertretende Vorstandsvorsitzende einer der Bank nahestehenden juristischen Person, wegen Veruntreuung des fremden Vermögens durch Amtsmissbrauch, begangen nach vorheriger Absprache von einer Personengruppe, in besonders großem Ausmaß und bei Fälschung im Amt (gemäß Art. 191 Abs. 5, Art. 28 Abs. 2, Art. 366 Abs. 1, 2 des Strafgesetzbuches der Ukraine).

Am 11. Mai 2021 unterzeichnete Wenediktowa die Verdachtsmitteilungen gegen zwei Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, Wiktor Medwedtschuk und Taras Kosak, wegen Hochverrats und versuchten Raubes nationaler Ressourcen auf der Krim.

Am 30. Juni 2021 übernahm Wenediktowa die Leitung des Departements für die Aufsicht über die Strafverfahren wegen Verbrechen in bewaffneten Konflikten.

Am 8. September 2021 traf sich Wenediktowa während einer Arbeitsreise in die Niederlande mit dem Generalstaatsanwalt der Niederlande und dem Leiter des gemeinsamen internationalen Ermittlungsteams im Fall MH17. Anfang September 2021 übernahm sie die Leitung der ukrainischen Einheit des Ermittlungsteams. Dank der gemeinsamen Bemühungen konnten vier Personen identifiziert werden, die dieses Verbrechens beschuldigt werden. Am 9. September 2021 nahm Wenediktowa an einer Gerichtsverhandlung im Fall MH17 teil und sprach mit den Angehörigen der Opfer.

Am 11. September 2021 nahm Wenediktowa während einer Arbeitsreise nach Straßburg auf Einladung des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an einer feierlichen Gerichtssitzung und an der Konferenz „Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit im Zeitalter digitaler Technologien“ teil.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Entdeckung der Massaker in Butscha und anderen besetzten Orten spielte sie eine Schlüsselrolle bei der Koordination der von internationalen Organisationen unterstützten Versuche zur Aufklärung, juristischen Verfolgung und Sammlung von Informationen über die Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte während der Schlacht um Kiew und an anderen Kriegsschauplätzen in ihrem Land.[3]

Im Juli 2022 wurde sie von Präsident Selenskyj zusammen mit zahlreichen Geheimdienstmitarbeitern abgesetzt. Als Grund wurde angegeben, in ihrer Behörde gäbe es massenhafte Kollaboration mit Russland.[4] Verschiedene Stimmen aus der ukrainischen Politik kritisierten die Absetzung als undemokratisch und vermuteten als Grund eine Machtkonsolidierung Selenskyjs.[5] Jedoch waren mehr als 60 Mitarbeiter vom Geheimdienst SBU und von Generalstaatsanwaltschaft in den von Russland besetzten bzw. annektierten ukrainischen Gebieten geblieben und hatten dort mit den Besatzern zusammengearbeitet.[6]

Andrij Kostin wurde Wenediktowas Nachfolger.[7]

Internationale Zusammenarbeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2021 führte die Generalstaatsanwaltschaft unter der Leitung von Iryna Wenediktowa in Kooperation mit der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) umfassende Ermittlungen durch und deckte eine internationale Bande von Internet-Betrügern auf, die über gefälschte Tradingplattformen mehr als 500 Millionen Euro eingenommen hatten.[8] Beschlagnahmtes Eigentum wurde nach Deutschland geschickt.[9]

Botschafterin in der Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im November 2022 wurde Wenediktowa zur neuen Botschafterin der Ukraine in der Schweiz ernannt. Sie folgte auf Artem Rybchenko, der als neuer Sonderbotschafter für den Wiederaufbau der Ukraine nach Kiew beordert wurde.[10]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Iryna Wenediktowa – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Venediktova Iryna auf der Website der ukrainischen in der Schweiz. Abgerufen am 26. Februar 2023.
  2. Biografie Iryna Wenediktowa auf chesno.org; abgerufen am 19. Juni 2021 (ukrainisch)
  3. Christian Rath: Europas Justiz für die Ukraine. In: Die Tageszeitung. 31. Mai 2022, abgerufen am 18. Juli 2022.
  4. Selenskyj beklagt hohe Zahl an Überläufern aus Sicherheitsbehörden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. Juli 2022, abgerufen am 18. Juli 2022.
  5. "Selenskyj entlässt Geheimdienstler - »Das ist keine positive Entscheidung«", Palina Milling, Rebecca Barth, ARD, 19. Juli 2022
  6. Christian Esch: (S+) Ukraine: Warum Wolodymyr Selenskyj seinen Freund feuert. In: Der Spiegel. 19. Juli 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 26. Oktober 2023]).
  7. Ukrainisches Parlament stimmt neuem Generalstaatsanwalt zu. In: Blick.ch, 27. Juli 2022.
  8. Uwe Ritzer: Internetkriminalität: Ermittlern gelingt Schlag gegen Betrügerbande. In: sueddeutsche.de. Abgerufen am 25. November 2021.
  9. Новини. In: gp.gov.ua. Abgerufen am 25. November 2021 (ua).
  10. Cyrill Pinto: «Angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine kann die Schweiz nicht neutral sein». In: SonntagsZeitung. 25. Februar 2023.