Karl Weierstraß – Wikipedia

Karl Weierstraß
Gedenktafel in Erinnerung an seine Geburtsstätte in Ostenfelde
Karl Weierstraß ist auf der Ehrentafel ehemaliger Schüler des Gymnasiums Theodorianum in Paderborn genannt. (linke Seite, zweiter Name von oben)
Karl Weierstraß auf der Ehrentafel Lyceum Hosianum in Braniewo

Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (* 31. Oktober 1815 in Ostenfelde bei Ennigerloh, Münsterland; † 19. Februar 1897 in Berlin) war ein deutscher Mathematiker, der sich vor allem um die logisch fundierte Aufarbeitung der Analysis verdient gemacht hat.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein Vater Wilhelm war zur Zeit von Karl Weierstraß’ Geburt Sekretär beim Bürgermeister von Ostenfelde. Als Karl acht Jahre war, wurde der Vater Steuerinspektor, was dazu führte, dass die Familie viel in Preußen umherziehen musste. Im Sterbejahr seiner Mutter, 1827, erhielt sein Vater einen festen Posten in Paderborn, so dass Karl das dortige „Akademische Gymnasium“ (heute Theodorianum) besuchen konnte. Nebenher musste er in der Buchführung arbeiten, um die Familienfinanzen zu verbessern, hatte aber trotzdem stets gute Noten und las nebenbei die führende deutsche Mathematik-Zeitschrift Crelles Journal. Auf Wunsch seines Vaters studierte Weierstraß von 1834 bis 1838 Rechtswissenschaft und Finanzwesen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, um sich auf eine Laufbahn als preußischer Verwaltungsbeamter vorzubereiten. Seit 1836 war er Mitglied des Corps Saxonia Bonn, in dem er nach Felix Kleins Beschreibung ein wenig zu sehr aufging.[1][2] Nebenbei las er aber Werke von Pierre-Simon Laplace, Niels Henrik Abel und Carl Gustav Jacob Jacobi, was ihn in seiner Hinwendung zur Mathematik bestärkte. Nachdem er 1838 die Universität Bonn ohne Abschluss verlassen hatte, ließ sich sein aufgebrachter Vater überzeugen, ihn von 1838 bis 1840 an der Akademie Münster Mathematik und Physik, die seinen Neigungen mehr entsprachen, studieren zu lassen. Dabei hörte er bei Christoph Gudermann, der von Weierstraß sehr beeindruckt war, die Theorie der elliptischen Funktionen. Auf sein Examen bereitete er sich durch Selbststudium in Westernkotten bei Lippstadt vor, wo sein Vater Direktor einer Saline war.

Nach bestandenen Examen unterrichtete er 1841/42 als Lehrer an Gymnasien in Münster. Hier entwickelte er auch die Grundlagen seiner späteren Theorie komplexer Funktionen, veröffentlichte aber nichts. Ab Ostern 1843 war er in Deutsch Krone in Westpreußen und seit 1848 in Braunsberg am Lyceum Hosianum tätig. Neben Mathematik unterrichtete er auch verschiedene andere Fächer wie Physik, Botanik und Turnen. Mit dem letztgenannten Fach hatte es eine besondere Bewandtnis: Als 1844 in Deutsch-Krone der Turnunterricht eingeführt werden sollte, kam nur Weierstraß als geeigneter Turnlehrer in Betracht. Er hatte in jungen Jahren selbst geturnt und war mit dem Buch von Carl Euler Die deutsche Turnkunst vertraut. Ende Juli 1844 reiste er nach Berlin und bildete sich dort zum Turnlehrer aus.

In völliger Isolation von der mathematischen Welt arbeitete er intensiv an seiner Theorie der abelschen Funktionen (den unmittelbaren Verallgemeinerungen der elliptischen Funktionen) und publizierte in der Zeitschrift seiner Schule. Aufmerksamkeit erregte aber erst ein Aufsatz in Crelles Journal 1854 Zur Theorie der Abelschen Funktionen, dem 1856 eine ausführlichere Arbeit folgte. Der deutsche Mathematiker K. Weierstraß begründete 1861 die allgemeine Theorie der analytischen Funktionen und vollendete darin die Arithmetisierung der Mathematik.

Als Folge erhielt er im selben Jahr die Ehrendoktorwürde der Albertus-Universität Königsberg, und die führenden Berliner Mathematiker Peter Gustav Lejeune Dirichlet und Ernst Eduard Kummer bemühten sich, ihn nach Berlin zu ziehen. Seit 1856 unterrichtete er Mathematik am Königlichen Gewerbeinstitut (1879 integriert in die Technische Hochschule Berlin), wurde aber im selben Jahr Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, während man sich gleichzeitig intensiv bemühte, ihn nach Österreich zu verpflichten.[3] In Berlin bildete sich bald eine große Schule um ihn, deren Kennzeichen die Einführung „weierstraßscher Strenge“ in die Analysis war. Stärker noch als durch seine Veröffentlichungen wirkte er durch die zahlreichen weit zirkulierenden Mitschriften seiner Vorlesungen durch seine Studenten, wie Wilhelm Killing oder Adolf Hurwitz. Mit seinem Berliner Kollegen Leopold Kronecker verstand er sich zunächst gut, es kam aber 1877 zum Zerwürfnis wegen dessen Ablehnung der Mengenlehre von Weierstraß’ Schüler Georg Cantor.

Weierstraß, der nie geheiratet hat, hatte eine besondere Beziehung zu seiner russischen Schülerin Sofia Kowalewskaja, die er ab 1870 privat unterrichtete, da sie als Frau keine Zulassung an der Universität erhielt. Er machte seinen Einfluss geltend, so dass sie 1874 in Göttingen promovieren[4] und in Stockholm 1884 eine Privatdozentenstelle antreten konnte. Dort wirkte auch einer der bedeutendsten Weierstraß-Schüler, Gösta Mittag-Leffler, der selbst später eine führende internationale Rolle in der Analysis einnahm. Bis zu ihrem Tod 1891 blieb Weierstraß in ständigem Briefwechsel mit Sofia Kowalewskaja.

Heliogravüre
nach R. von Voigtländer
Pastellbild
von Conrad Fehr
Radierung
von Conrad Fehr

Schon in seiner Braunsberger Zeit litt er an Gesundheitsproblemen, und Ende 1861 erlitt er einen völligen Zusammenbruch.

Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm als Zeichen der Verehrung und Dankbarkeit ein Fotoalbum mit Porträts vieler seiner Schüler, Freunde und Kollegen überreicht. Zum Anlass seines 80. Geburtstages wurden zwei Gemälde angefertigt: das eine von Rudolf von Voigtländer (nach dem die bekannte Heliogravüre angefertigt wurde) und das andere von dem Maler, Graphiker und Bildhauer Conrad Fehr (1854–1933), nach dem Fehr auch eine Radierung anfertigte. Weierstraß war zu seinem Jubiläum schon seit einem Jahr auf einen Rollstuhl angewiesen und konnte auf ärztlichen Rat nur für zwei Stunden im Sessel sitzend die Glückwünsche von Schülern, Freunden und Kollegen in seiner Wohnung entgegennehmen. Zwar war er durch körperliche Leiden gezeichnet, erwiderte aber schlagfertig und passend die gehaltenen Ansprachen.

1856 wurde er als ordentliches Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. 1864 wurde er korrespondierendes und 1895 Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Seit 1868 war er korrespondierendes und seit 1879 auswärtiges Mitglied der Académie des sciences.[5] 1881 wurde er auswärtiges Mitglied der Royal Society,[6] deren Copley-Medaille erhielt er 1895. Im Jahr 1883 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.[7] 1892 wurde er in die National Academy of Sciences, 1896 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Im Jahr 1887 erhielt er die Cothenius-Medaille der Leopoldina.

Er starb am 19. Februar 1897 in Berlin an einer Lungenentzündung und wurde auf dem St.-Hedwigs-Friedhof in Berlin beigesetzt. Sein Grabstein wurde 1961 durch den Bau der Berliner Mauer an die alte Friedhofsmauer umgesetzt, das Grab liegt im ehemaligen Todesstreifen. Bis zum Jahre 2014 war die neue Stelle des Grabsteines als Ehrengrab der Stadt Berlin ausgewiesen.

In seinem Geburtsort Ostenfelde wurde eine Straße nach ihm benannt. Auf der Parzelle, wo sich einst sein Geburtshaus befand (abgebrochen 1850), steht heute das Gebäude Weierstrassweg 2.[8] An einer Außenwand des Nachfolgegebäudes ist zur Straße hin eine Gedenktafel angebracht. Der genaue Text lautet: "An dieser Stätte wurde am 31.10.1815 Karl Weierstrass, der berühmte Mathematiker, eine Leuchte der Berliner Universität, geboren."

Der Mondkrater Weierstrass sowie der Asteroid (14100) Weierstrass wurden nach ihm benannt. Außerdem gibt es in Berlin das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik, ein Leibniz-Institut im Forschungsverbund Berlin e. V.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein Hauptwerk galt der logisch korrekten Fundierung der Analysis (zuerst in Vorlesungen 1859/60) und der Entwicklung der Funktionentheorie auf der Basis der Potenzreihenentwicklungen. Er leistete wichtige Beiträge zur Theorie der elliptischen Funktionen, zur Differentialgeometrie und zur Variationsrechnung.

Viele wichtige Konzepte der heute gelehrten Analysis stammen von ihm, z. B. Konvergenzkriterien für Reihen, die Behandlung unendlicher Produkte und der Begriff der gleichmäßigen Konvergenz (Weierstraß-Kriterium). Von ihm stammt der Satz von Bolzano-Weierstraß, der besagt, dass jede beschränkte Folge im wenigstens einen Häufungspunkt hat.

Weierstraß gab auch im Rahmen seiner strengen Begründung der Analysis eine der ersten Axiomatisierungen der reellen Zahlen (wobei die strenge Axiomatisierung der diesen zugrundeliegenden natürlichen Zahlen erst später mit Giuseppe Peano einsetzte). Sein Zugang war über konvergente unendliche Reihen in den Kehrwerten natürlicher Zahlen mit beschränkten Partialsummen.[9] Er kannte ihn schon Anfang der 1860er Jahre, veröffentlicht wurde er aber erst 1872 von Ernst Kossak,[10] nach der Vorlesung von Weierstraß zur Einführung in die Funktionentheorie von 1865/66, die er von 1857 bis 1887 alle zwei Jahre (mit Abwandlungen) in seinem Vorlesungszyklus über Funktionentheorie hielt. Weierstraß sah allerdings die Veröffentlichung von Kossak als unzureichend und entstellend an. Die Methode von Weierstraß wurde noch mehrfach von anderen veröffentlicht[11] man gab aber meist den Methoden von Dedekind oder Cantor den Vorzug. Vor Weierstraß veröffentlichten Richard Dedekind (1872), Georg Cantor und Charles Méray (1869) eine strenge Theorie reeller Zahlen. In einer Ausarbeitung derselben Vorlesung von Weierstraß von Moritz Pasch findet sich auch erstmals der Begriff Häufungspunkt (aufgegriffen von Georg Cantor 1872).[12]

1868 fand er die Jordansche Normalform für Matrizen über den komplexen Zahlen (Camille Jordan führte sie für Matrizen über endlichen Körpern 1870 ein),[13] wobei er die Sprache von Bilinearformen verwendete und die Weierstraß-Normalform einführte (siehe Frobenius-Normalform) und Elementarteiler. Unabhängig fand Henry John Stephen Smith die Elementarteiler (siehe Smith-Normalform). Weierstraß bewies 1863 auch, dass der Körper der komplexen Zahlen der einzige endlichdimensionale kommutative Oberkörper der reellen Zahlen ist (veröffentlicht in Hermann Hankel Theorie der complexen Zahlsysteme).

In der Variationsrechnung, über die Weierstraß regelmäßig las, gab er notwendige Bedingungen für Extrema. Bekannt ist auch seine Kritik am Dirichlet-Prinzip, mit dem Bernhard Riemann seine Funktionentheorie begründete.

Weierstraß fand 1872 eine Funktion, die überall stetig, aber nirgends differenzierbar war. Bernard Bolzano hatte bereits 1834 ein solches Beispiel angegeben, das die mathematische Fachwelt allerdings nicht zur Kenntnis genommen hatte. In der Folge entdeckten weitere Mathematiker solche Monsterkurven, so genannt, da ihre Existenz der Intuition widersprach.

Weierstraß, der schon die Werke von Jakob Steiner und Carl Gustav Jacobi mit herausgab, überwachte auch das Erscheinen der ersten Bände seiner eigenen Werke, in denen speziell seine Vorlesungen, die viel nicht veröffentlichtes Material enthielten, herausgegeben werden sollten.

In der Didaktik leistete er 1845 einen Beitrag zur Mäeutik. In Über die Sokratische Lehrmethode und deren Anwendbarkeit beim Schulunterrichte äußerte er sich lobend über die Methode, aber skeptisch gegenüber ihrer Anwendung in der Schule.

Sätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weiterhin stammen von ihm

Funktionen und andere mathematische Objekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Beitrag zur Theorie der Abel'schen Integrale. In: Jahresbericht über das Königl. Katholische Gymnasium zu Braunsberg 1848/49, S. 1–23. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
  • Gesammelte Werke, 7 Bde., Berlin: Mayer und Müller, 1894–1927 (Nachdruck Hildesheim: Olms 1967), speziell:
  • Ausgewählte Kapitel aus der Funktionentheorie (Vorlesung, gehalten in Berlin 1886, mit der akademischen Antrittsrede, Berlin 1857 und drei weiteren Originalarbeiten), Teubner Archiv Mathematik, Leipzig 1988 (Hrsg. R. Siegmund-Schultze)
  • Abhandlungen aus der Functionenlehre, Springer, Berlin 1886
  • Einleitung in die Theorie der analytischen Funktionen, Vorlesung Berlin 1878, Dokumente zur Geschichte der Mathematik 4, Vieweg 1988 (Mitschrift Adolf Hurwitz)
  • Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der elliptischen Functionen, nach Vorlesungen und Aufzeichnungen des K. Weierstrass, Berlin 1893 (Hrsg. Hermann Amandus Schwarz, nur die 1. Abteilung erschienen), Nachdruck Würzburg: Physica Verlag 1962
  • Theorie der Abelschen Funktionen, Crelle J. 1856, Project Gutenberg

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1875 erhielt er den Orden Pour le Mérite.[17]

Im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin ist der Weierstraßsaal nach ihm benannt. An der Universität Paderborn wird in der Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik jährlich der Weierstraß-Preis für herausragende Lehre an je einen Dozenten und einen Mitarbeiter verliehen.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wikisource: Karl Weierstraß – Quellen und Volltexte
Commons: Karl Weierstraß – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kösener Korpslisten 1910, 27/22
  2. Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert Springer, Berlin 1979, ISBN 3-540-09235-8 (Nachdruck d. Ausg. Berlin 1926/27)
  3. Weierstraß, Karl Theodor Wilhelm. In: Catalogus Professorum TU Berlin. Abgerufen am 27. Februar 2023.
  4. Renate Tobies (Hrsg.): „Aller Männerkultur zum Trotz“. Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften. Mit einem Geleitwort von Knut Radbruch. Campus, Frankfurt a. M. / New York 1997, ISBN 3-593-35749-6, S. 132 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Verzeichnis der ehemaligen Mitglieder seit 1666: Buchstabe W. Académie des sciences, abgerufen am 14. März 2020 (französisch).
  6. Eintrag zu Weierstrass, Carl Wilhelm (1815–1897) im Archiv der Royal Society, London
  7. Mitgliedseintrag von Karl Weierstrass bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 10. Juni 2016.
  8. Klemens Senger, Goldschmied Etmund Alexander Maria Schmidtz (1735–1800), S. 194–196 in: Jahrbuch des Kreises Warendorf 2011, S. 196.
  9. Klaus Kopfermann, Weierstraß Vorlesung über Funktionentheorie, in Behnke, Kopfermann, Weierstraß-Festschrift, Westdeutscher Verlag 1966, S. 80.
  10. Ernst Kossak: Die Elemente der Arithmetik. Programm Friedrich Werdersches Gymnasium, Berlin 1872.
  11. So noch 1920 von Gösta Mittag-Leffler in seinem Buch Die Zahl
  12. Dugac, Grundlagen der Analysis, in Dieudonné, Geschichte der Mathematik, Vieweg 1990, S. 387.
  13. Heinz-Wilhelm Alten u. a., 4000 Jahre Algebra, Springer, 2008, S. 409.
  14. Eric W. Weisstein: Weierstrass Sigma Function. In: MathWorld (englisch).
  15. Eric W. Weisstein: Weierstrass Constant. In: MathWorld (englisch).
  16. Eric W. Weisstein: Weierstrass Zeta Function. In: MathWorld (englisch).
  17. Weierstraß im Orden Pour le Mérite