Praxis-Gruppe – Wikipedia

Zeitschrift Praxis

Die Praxis-Gruppe war in den 1960er und 1970er Jahren eine Gruppe jugoslawischer Philosophen und Sozialwissenschaftler, die einen humanistischen, undogmatischen Marxismus vertraten. Sie waren Veranstalter der jährlich stattfindenden „Sommerschule“ auf der Insel Korčula und Herausgeber der Zeitschrift Praxis.

Grundkonsens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Mitglieder der Praxis-Gruppe vertraten unterschiedliche Positionen und beschäftigten sich mit unterschiedlichen Themen. Gemeinsam vertraten sie einen „humanistischen Marxismus“, der den Stalinismus als den Ideen von Karl Marx widersprechende Lehre scharf ablehnte und stattdessen, vor allem durch die Beschäftigung mit den frühen Werken von Marx, einen authentischen Marxismus zu rekonstruieren und als „schöpferischen Marxismus“ weiterzuentwickeln versuchte.

Mitglieder der Praxis-Gruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mitglieder der Redaktion und des Redaktionsrats der Zeitschrift Praxis sowie Mitglieder des Organisationskomitees der Sommerschule waren unter anderem:[1]

Die Sommerschule auf Korčula[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Sommerschule war eine offene Versammlung, auf der Vorträge und Diskussionen zu den Themen stattfanden, mit denen sich die Mitglieder der Praxis-Gruppe beschäftigten. Sie fand erstmals 1963 in Dubrovnik statt und wurde dann zu einer jährlichen Veranstaltung auf Korčula. Neben den Mitgliedern der Praxis-Gruppe nahmen sowohl marxistische als auch nichtmarxistische Wissenschaftler aus dem Ausland teil; die Sommerschule stand aber auch interessierten Laien offen.

Themen der Sommerschulen waren:[2]

  • 1963: Fortschritt und Kultur
  • 1964: Sinn und Perspektiven des Sozialismus
  • 1965: Was ist Geschichte?
  • 1966: In diesem Jahr wurde die Sommerschule auf Druck des Bundes der Kommunisten Kroatiens abgesagt.
  • 1967: Schaffen und Verdinglichung
  • 1968: Marx und die Revolution
  • 1969: Macht und Menschlichkeit
  • 1970: Hegel und unsere Zeit – Lenin und die Neue Linke
  • 1971: Utopie und Realität
  • 1972: Freiheit und Einigkeit
  • 1973: Die bürgerliche Welt und der Sozialismus
  • 1974: Kunst in der modernen Gesellschaft

Die Zeitschrift Praxis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Zeitschrift Praxis wurde 1964 gegründet und 1975 verboten. Die Redaktion bestand aus Zagreber Mitgliedern der Praxis-Gruppe, in einem größeren Gremium, dem „Redaktionsrat“, waren Wissenschaftler aus ganz Jugoslawien sowie aus dem Ausland (unter anderem Norman Birnbaum, Ernst Bloch, Erich Fromm, Jürgen Habermas, Leszek Kołakowski, Henri Lefebvre, Georg Lukács und Herbert Marcuse) vertreten.[3]

Praxis International, 1. Ausgabe

Neben der jugoslawischen Ausgabe erschien von 1965 bis 1973 auch eine internationale Ausgabe der Praxis, die ab 1981 bis 1994 weitergeführt wurde (ISSN 0260-8448). Als Nachfolgepublikation erscheint seither die Zeitschrift Constellations (ISSN 1351-0487).

Verbot der Praxis-Gruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 28. Januar 1975 wurden acht Mitglieder der Praxis-Gruppe (Trivo Inđić, Mihailo Marković, Dragoljub Mićunović, Zagorka Golubović, Nebojša Popov, Svetozar Stojanović, Ljubomir Tadić, Miladin Životić) aus der Universität Belgrad ausgeschlossen. Kurz darauf wurden auch das Erscheinen der Zeitschrift „Praxis“ und die Ausrichtung der Sommerschule verboten.[4]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Yugoslav magazine wins fight against authorities. In: The Times. 3. April 1967, S. 4
  • Gajo Petrović: Revolutionäre Praxis. Jugoslawischer Marxismus der Gegenwart. 1969
  • Der Spiegel, 10/1970: Artikel, S. 169 – Gespräch mit Gajo Petrović und Milan Kangrga, S. 170–174 (Das Gespräch ist auch abgedruckt in: Georg Wolff (Hg.): Wir leben in der Weltrevolution. ISBN 3-471-60376-X, S. 71–82 – siehe auch: S. 191)
  • Rudi Supek & Branko Bošnjak (Hg.): Jugoslawien denkt anders. Marxismus und Kritik des etatistischen Sozialismus. 1971 ISBN 3-203-50242-2
  • Mihailo Marković und Robert S. Cohen: Yugoslavia: the rise and fall of socialist humanism; a history of the “Praxis” group. 1975, ISBN 0-85124-129-8
  • Ernst Bloch: Jugoslawien nagelt die Flagge an den Mast. In: Der Spiegel. Heft 6/1975, S. 80 ff.
  • Ursula Rütten: Marxismus als Gesellschaftskritik. Die PRAXIS-Gruppe in Jugoslawien – ihre Grenzen und Möglichkeiten. Inauguraldissertation, TH Aachen, 1976
  • Julius Oswald, Revolutionäre Praxis. Darstellung und Kritik der philosophischen Position der Gründer der Zeitschrift "Praxis" unter besonderer Berücksichtigung ihrer Religionskritik (= Themen und Thesen der Theologie), Düsseldorf 1982, (Hochschulschrift, zugleich München, Univ., Diss.), ISBN 978-3-491-71045-0.
  • Ursula Rütten: Am Ende der Philosophie? Das gescheiterte „Modell Jugoslawien“. Fragen an Intellektuelle im Umkreis der PRAXIS-Gruppe. 1993, ISBN 3-85435-209-3
  • Nebojša Popov (Hg.; mit: Milan Kangrga, Zagorka Golubović, Ivan Kuvačić, Božidar Jakšić, Ante Lešaja): Sloboda i nasilje, razgovor o časopisu Praxis i korčulanskoj letnjoj školi. 2003, ISBN 86-902945-1-1
  • Boris Kanzleiter & Krunoslav Stojaković: 1968 in Jugoslawien. Studentenproteste und kulturelle Avantgarde zwischen 1960 und 1975. Dietz, Bonn a. Rh. 2008, ISBN 3-8012-4179-3 (ausführl. Rezension: die tageszeitung 29. Oktober 2008, S. 15)
  • Frederik Fuß (Hrsg.): Der vergessene Marxismus. Beiträge der jugoslawischen Praxis-Gruppe. Syndikat-A, Moers 2019, ISBN 978-3-9817138-6-2

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ursula Rütten: Marxismus als Gesellschaftskritik (s. o.). S. 9; Revolutionäre Praxis (s. o.). S. 275–280
  2. Ursula Rütten: Marxismus als Gesellschaftskritik (s. o.). S. 209 f.
  3. Gajo Petrović: Revolutionäre Praxis (s. o.). S. 17
  4. Ursula Rütten: Marxismus als Gesellschaftskritik (s. o.). S. 191