Unierte Evangelische Kirche in Polnisch-Oberschlesien – Wikipedia

Die Unierte Evangelische Kirche in Polnisch-Oberschlesien (polnisch Ewangelicki Kościół Unijny na polskim Górnym Śląsku) war eine unierte evangelische Kirche in der Zeit der Zweiten Polnischen Republik.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kirche bestand zwischen 1923 und 1939 in Ostoberschlesien, dem nördlichen und zentralen Teil der autonomen Woiwodschaft Schlesien. Als 1922 Ostoberschlesien an Polen abgetreten wurde, schieden die dortigen 17 evangelischen Kirchengemeinden, der gesamte Kirchenkreis Pleß und sieben Gemeinden des Kirchenkreises Gleiwitz mit zusammen 24 Geistlichen, aus der Kirchenprovinz Schlesien der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens (Altpreußische Union) aus[1] und bildeten auf ihrer Synode in Pleß am 6. Juni 1923 die Unierte Evangelische Kirche in Polnisch Oberschlesien mit Sitz in Katowice.[2] Diese polnische Landeskirche blieb in geistlicher und finanzieller Hinsicht von der Kirchenprovinz Schlesien abhängig. „Dies war nach dem Deutsch-Polnischen Genfer Abkommen über Oberschlesien[3] vom 15. Mai 1922 in § 95 und § 96 auch ausdrücklich zugestanden worden.“[4] Anderen evangelischen Kirchen in Polen gestatteten polnische Behörden eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit deutschen Landeskirchen nicht.

Eine Verbindung mit der Unierten Evangelischen Kirche in Polen sowie eine Angliederung deutschsprachiger evangelischer Kirchengemeinden im ehemals Österreichischen Schlesien (Bielitz, Alt-Bielitz und Ober Kurzwald) wurden erwogen.[5] Sie hatten sich 1922 von der Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Kleinpolen abgetrennt.

Die Mehrzahl der Kirchenmitglieder in den Städten waren Angehörige der deutschen Minderheit; die Kirchengemeinden im südlichen Ostoberschlesien waren polnischsprachig. Später kamen auch polnischsprachige Lutheraner aus dem Teschener Schlesien hinzu. Fast alle Kirchengemeinden waren lutherisch, nur Hołdunów war reformiert geprägt.[6] Beinahe im gesamten Gebiet waren die Protestanten in der Minderheit. Im Jahr 1924 gab es etwa 40.000 Mitglieder. Bis 1936 verringerte sich ihre Zahl auf unter 30.000.[7] Die höchsten Anteile an Protestanten gab es im Jahr 1933 in den Gemeinden Golasowice (75,3 %), Gać (71,6 %), Hołdunów (70,6 %), Bzie Dolne (60,6 %), Cisówka (34,4 %), Marusze (30,4 %) und Ruptawa (29,7 %).[8]

Der evangelische Władysław Michejda (1896–1943) aus dem an die Tschechoslowakei gelangten westlichen Olsagebiet (bis 1918 Teil des Teschener Schlesiens), wo er den Volkstumskampf für die polnische Sache geführt hatte, wandte sich nach einem Intermezzo beim polnischen Militär Ende der 1920er Jahre dem Ringen um polnisches Volkstum in der Unierten Evangelische Kirche in Polnisch-Oberschlesien zu. Er führte Streitigkeiten polnischsprachiger Kirchenmitglieder gegen die meist mit Deutschsprachigen besetzte Kirchenleitung zwecks Klärung vor ordentliche Gerichte.

So erfocht er vor Gericht die Aufhebung des Synodalbeschlusses, der zugewanderten meist polnischsprachigen Protestanten aus den vormals zu Russland und Österreich gehörenden Teilen Polens die Aufnahme in die Kirche in Polnisch-Oberschlesien verwehrte. Seine Positionen vertrat Michejda in der von ihm gegründeten Zeitschrift Ewangelik Górnośląski, die 1932 bis 1939 erschien. Mithilfe der Oberschlesischen Gemischten Kommission, eines durch das deutsch-polnische Genfer Abkommen etablierten Organs zur Regelung von Streitigkeiten, erlangte er die Zulassung der polnischen Sprache im evangelischen Religionsunterricht.

Mit Auslaufen des Genfer Abkommens im Mai 1937 entfiel der Schutz vor Eingriffen in die Kirchenautonomie und die Kirche in Polnisch-Oberschlesien verlor den Status als altpreußische Kirchenprovinz.[9] So gewann Michejda das Schlesische Parlament dafür, im Juli des Jahres einen von ihm verfassten Entwurf einer neuen Kirchenordnung für die Kirche in Polnisch-Oberschlesien per Gesetz zu erlassen, wodurch er kommissarisch die Kirchenleitung übernahm und polnischsprachige Pastoren an die Kirchengemeinden entsandte.[10]

So wurde Kirchenpräsident Hermann Voß, von 1923 bis 1937 im Amt,[11] per schlesisches Sejmgesetz abgesetzt.[12] Die Kirchenorgane erkannten die Absetzung nicht an. Nach dem Tod Voß’ 1938 wählten die übrigen Mitglieder der Kirchenleitung Oskar Wagner zum Kirchenpräsidenten, den die polnische Regierung jedoch bald nach Deutschland auswies.

Von September 1938 bis April 1939 wirkte Michejda im Kampf für den Anschluss des tschechoslowakischen westlichen Olsagebietes an Polen, woraufhin er im Mai 1939, nachdem Polen im Vorgriff auf die in München beschlossene Zerstückelung der Tschechoslowakei entlang von Sprachlinien Ende Oktober 1938 deren polnischsprachiges Olsagebiet annektiert hatte, nach Těšín verzog, wo er für die polnische Regierung Treuhänder des enteigneten Trzynietzer Eisenwerkes wurde.

Nach dem Überfall auf Polen wurde das autonome Schlesien von der Wehrmacht besetzt und Deutsch-Oberschlesien angegliedert. Die Unierte Evangelische Kirche in Polnisch-Oberschlesien wurde aufgelöst und ab November 1939 bis 1945 gehörten ihre Kirchengemeinden zur Evangelischen Kirche der altpreußischen Union,[13] wie die preußische Landeskirche seit 1922 hieß. Infolge von Flucht und Vertreibung durch das polnische Nachkriegsregime ging ab 1945 die Zahl der Protestanten in Oberschlesien erheblich zurück und es kam nicht zur Wiederbegründung der Kirche. Die verbliebenen Protestanten und ihre Kirchengemeinden gehörten nach 1945 zur Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen.

Gemeinden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemeinde Gründungsjahr Zahl der Mitglieder (1937)[14] Kirche Bild
Pszczyna (Pless) 1742 (1764) 3150 Evangelische Kirche in Pszczyna
Tarnowskie Góry (Tarnowitz) 1742 (1764) 1023 Evangelische Kirche in Tarnowskie Góry
Piasek (Ludwigsthal) 1754 (1764) 190 Evangelische Kirche in Piasek
Golasowice (Gollasowitz) 1765 1985 Evangelische Kirche in Golasowice
Wodzisław Śląski (Loslau) 1776 (in Marusze) 615 Evangelische Kirche in Wodzisław Śląski
Hołdunów (Anhalt O.S.) 1770 798 Evangelische Kirche in Hołdunów (zerstört)
Rybnik um 1791[15] 1110 Evangelische Kirche in Rybnik
Lubliniec (Lublinitz) um 1850[16] 160 Evangelische Kirche in Lubliniec
Żory (Sohrau) 1851 985 Evangelische Kirche in Żory
Mikołów (Nikolai) 1854 2030 Evangelische Kirche in Mikołów
Katowice (Kattowitz) 1856 7100 Auferstehungskirche (Katowice)
Mysłowice (Myslowitz) 1857 1550 Evangelische Kirche in Mysłowice
Królewska Huta (ab 1934 Chorzów) (Königshütte) um 1876[17] 5015 Evangelische Kirche in Chorzów
Siemianowice (Siemianowitz) 1888 2510 Evangelische Kirche in Siemianowice
Nowa Wieś (heute Wirek) (Antonienhütte) 1898 1215 Evangelische Kirche in Ruda Śląska
Ruptawa (Ruptau) 1908 996 Alte evangelische Kirche in Jastrzębie-Zdrój
Szopienice (Rozdzień) (Schoppinitz) 1910 (Rozdzień) 1250 Evangelische Kirche in Katowice-Szopienice
Świętochłowice (Schwientochlowitz) 1910 2020 Evangelische Kirche in Świętochłowice
Lipiny (Lipine) 915 Evangelische Kirche in Lipiny (zerstört) auf einer Postkarte (1918)
Warszowice (Warschowitz) um 1933 498 Alte evangelische Kirche in Warszowice auf einem Foto

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Henryk Czembor: Ewangelicki Kościół Unijny na polskim Górnym Śląsku. Dom Wydawniczy i Księgarski „Didache”, Katowice 1993, OCLC 80237547 (polnisch).
  • Stefan Grelewski: Wyznania protestanckie i sekty religijne w Polsce współczesnej. Lublin 1937, S. 333–341 (polnisch, online).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die ebenfalls vorher zur schlesischen Kirchenprovinz gehörigen evangelische Kirchengemeinden im 1920 an die Tschechoslowakei abgetretenen Hultschin kam an die Schlesische Evangelische Kirche A.B., die niederschlesischen Kirchengemeinden im an Polen abgetretenen Bralin und Triebusch an die Unierte Evangelische Kirche in Polen.
  2. Alfred Kleindienst, Oskar Wagner: Der Protestantismus in der Republik Polen 1918/19 bis 1939 im Spannungsfeld von Nationalitätenpolitik und Staatskirchenrecht, kirchlicher und nationaler Gegensätze (= Marburger Ostforschungen; Bd. 42). J.-G.-Herder-Institut, Marburg an der Lahn 1985, ISBN 3-87969-179-7, S. 436ff.
  3. Vgl. „Deutsch-polnisches Abkommen über Oberschlesien“ (Oberschlesien-Abkommen, OSA) vom 15. Mai 1922, in: Reichsgesetzblatt, 1922, Teil II, S. 238ff.
  4. Quellenbuch zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Schlesien (= Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte, Bd. 1). Hrsg. von Gustav Adolf Benrath im Auftr. des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte. Oldenbourg, München 1992, ISBN 3-486-55916-8, S. 382.
  5. H. Czembor, 1993, S. 41
  6. H. Czembor, 1993, S. 39
  7. H. Czembor, 1993, S. 46
  8. H. Czembor, 1993, S. 45
  9. Wilhelm Hüffmeier: Die Evangelische Kirche der Union. Eine kurze geschichtliche Orientierung. In: „… den großen Zwecken des Christenthums gemäß“ – Die Evangelische Kirche der Union 1817 bis 1992. Eine Handreichung für die Gemeinden. Bearbeitet von Wilhelm Hüffmeier, herausgegeben von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union. Luther-Verlag, Bielefeld 1992, ISBN 3-7858-0346-X, S. 13–28, hier S. 22.
  10. Barbara Michejda-Pinno: Dr Władysław Michejda z Katowic. Jego walka o prawa Polaków pomiędzy dwoma wojnami o niepodległość Polski. In: Weronika Nagengast, Jan Szturc (Hrsg.): O polski Śląsk: Tadeusz Michejda (1895–1955), Władysław Michejda (1896–1943) (= Studia z Dziejów Ewangelicyzmu na Górnym Śląsku, Bd. 1). Muzeum Śląskie, Kattowitz 2000, ISBN 8-387-45595-4, S. 75–104.
  11. Geschichte der Pfarrei in Katowice
  12. Handbuch der deutschen evangelischen Kirchen 1918 bis 1949: Organe – Ämter – Verbände – Personen (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe A, Quellen, Bd. 20). Bearbeitet von Heinz Boberach, Carsten Nicolaisen und Ruth Pabst. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, Bd. 2 Landes- und Provinzialkirchen, S. 411.
  13. Handbuch der deutschen evangelischen Kirchen 1918 bis 1949: Organe – Ämter – Verbände – Personen (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe A, Quellen, Bd. 20). Bearbeitet von Heinz Boberach, Carsten Nicolaisen und Ruth Pabst. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, Bd. 2 Landes- und Provinzialkirchen, S. 410.
  14. Stefan Grelewski: Wyznania protestanckie i sekty religijne w Polsce współczesnej. Lublin 1937, S. 341 (polnisch, online).
  15. Historia parafii w Rybniku (Memento des Originals vom 16. März 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rybnik.luteranie.pl
  16. Historia zboru ewangelickiego w Lublińcu
  17. Historia parafii w Chorzowie (Memento des Originals vom 8. November 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.chorzow.luteranie.pl