Washingtoner Erklärung – Wikipedia

Die Washingtoner Erklärung (Washington Principles) vom 3. Dezember 1998 – eigentlich: Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden – ist eine rechtlich nicht bindende Übereinkunft, um die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Sie war das Ergebnis der im Dezember 1998 durchgeführten Washington Conference on Holocaust-Era Assets (Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust), an der 44 Staaten, zwölf nicht-staatliche Organisationen, insbesondere jüdische Opferverbände, sowie der Vatikan teilnahmen. Der Plan der amerikanischen Delegation, „verbindliche völkerrechtliche Verpflichtungen“ auszuarbeiten wurde bereits in einem frühen Stadium der Vorbereitungsphase aufgegeben. Es war ein Vorschlag der Schweizer Delegation, der den Durchbruch ermöglichte, um an der Konferenz einen Konsens zu finden:[1] Es wurde eine ausdrückliche Erklärung in der Präambel aufgenommen, welche die Unverbindlichkeit der Grundsätze bekräftigt, die Unterschiede der Rechtssysteme anerkennt und berücksichtigt, dass die einzelnen Staaten im Rahmen ihrer eigenen Gesetze handeln.[2]

Dieser Selbstverpflichtung folgte Deutschland mit einer „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom 9. Dezember 1999[3] sowie einer „Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung“.[4]

Frühere Wiedergutmachungsleistungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bundesrepublik Deutschland hatte im Rahmen der Wiedergutmachungspolitik gesetzliche Grundlagen geschaffen, um berechtigte Ansprüche auf Restitution oder materielle Entschädigung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut erfüllen zu können. War im Einzelfall eine Entschädigung nicht möglich, weil ein Rechtsnachfolger eines jüdischen Geschädigten nicht auffindbar war, so erfolgten Globalzahlungen an die Conference on Jewish Material Claims als Vertreterin der Nachfolgeorganisationen. Zivilrechtlich sind Ansprüche längst verjährt; nach § 30 Bundesrückerstattungsgesetz war eine Anmeldung von Ansprüchen spätestens bis zum 1. April 1958 vorzunehmen, bei schuldloser Fristversäumung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend § 169 Bundesentschädigungsgesetz allerspätestens bis 31. Dezember 1969.

Die Bundesrepublik hat sich ungeachtet der fehlenden zivilrechtlichen Grundlagen, neben 43 weiteren Staaten, bereit erklärt, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden.“[5] Dabei soll der wahre Berechtigte festgestellt werden; früher geleistete Entschädigungszahlungen sind gegebenenfalls zu berücksichtigen.

Handreichungen zur Umsetzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die öffentlichen deutschen Museen, Archive und Bibliotheken sollen zur Auffindung „NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ beitragen. Dazu sind die Besitzverhältnisse für den Zeitraum von 1933 bis 1945 zu überprüfen. Für eine derartige Provenienzforschung führen die „Handreichungen“ umfangreiche Hinweise auf Merkmale an, die einen Anfangsverdacht begründen. Die nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ überprüften Informationen sollen an die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste weitergegeben und in deren Internet-Webseite „LostArt.de“ veröffentlicht werden. Unter dieser Adresse sind auch Suchanträge aus dem Ausland einzugeben.

Für die „Prüfung des verfolgungsbedingten Entzugs“ und die Abwicklung des Rückgabeverfahrens wird kein rechtlich verbindliches Regelwerk vorgegeben: Auf dem Rechtswege sind Ansprüche nicht mehr durchsetzbar. Die Handreichungen bescheiden sich daher auf „Anregungen“ und überlassen dies „im Rahmen der jeweils geltenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen“[6] dem Ermessen der betroffenen Einrichtung beziehungsweise ihrem Träger. Nach dem vorgeschlagenen Prüfraster gilt die Vermutung eines verfolgungsbedingten Entzugs immer dann als widerlegt, wenn ein angemessener Kaufpreis gezahlt wurde und der Verkäufer über den Betrag frei verfügen oder ihn ins Ausland transferieren konnte.

Wird ein Anspruch anerkannt, so gibt es außer Rückgabe des Kunstobjekts an den Eigentümer weitere Lösungsmöglichkeiten wie Rückkauf, Dauerleihvertrag oder Tausch. Wenn das Kunstwerk weiter in der Ausstellung verbleibt, sollen Hinweise auf die Provenienz und das Schicksal der ehemaligen Eigentümer beigefügt werden.

Schlichtungsstelle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenn eine einvernehmliche Regelung über die Rückerstattung eines Kunstwerks aussteht, besteht die Möglichkeit, über die „Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste“ eine Vermittlungsstelle anzurufen. Die „Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“, in der Öffentlichkeit als Limbach-Kommission bekannt, spricht allerdings nur eine rechtlich nicht bindende Empfehlung aus.

Restitutionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innerhalb der ersten fünf Jahre bis Mitte 2005 wurden nach Prüfung durch mehr als 150 Einrichtungen über 3.500 Kulturgüter ermittelt, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann. Über 160 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken und mehr als 1.000 Bücher konnten identifiziert und an die Berechtigten zurückgegeben werden.[7]

Anlässlich der Restitution des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner, das bis Juli 2006 im Berliner Brücke-Museum ausgestellt war, kam es zu überaus kritischen Reaktionen und kontroversen Diskussionen. Sie verdeutlichten die bestehende Rechtsunsicherheit, die die juristisch unverbindlichen aber moralisch verpflichtenden Grundsätze der Washingtoner Erklärung auslösen können.

Private Sammler sind wegen der im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschriebenen Verjährung rechtlich nicht verpflichtet, ein dem jüdischen Eigentümer verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk zurückzugeben.[8] In den letzten Jahren sind einige Vorhaben mit dem Ziel, die Verjährung in bestimmten Fällen auszuschließen, gescheitert.[9][10]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gisela Blau: Den Durchbruch schaffte die Schweizer Delegation, tachles 22. Januar 2021
  2. Katja Lubina: Contested cultural property - The return of nazi spoliated art and human remains from public collections, Maastricht 2009, S. 177 Fn. 820
  3. Erklärung der Bundesregierung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes insbesondere aus jüdischem Besitz.
  4. Texte der drei Dokumente siehe Weblinks
  5. Erklärung der Bundesregierung vom 9. Dezember 1999
  6. Handreichungen zur Umsetzung, S. 20
  7. Appell zur Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in deutschen Einrichtungen. (Januar 2005)
  8. Inka Bertz, Michael Dorrmann: Raub und Restitution, Göttingen 2008, ISBN 978-38353-0361-4, S. 6
  9. Hans-Ulrich Dillmann: Mehr Rechtssicherheit. 12. September 2018, abgerufen am 24. Juni 2019.
  10. Bundesrat Drucksache 2/14: Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhandengekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz - KRG). 7. Januar 2014 (bundesrat.de [PDF; abgerufen am 24. Juni 2019]).